Wenn Filme besser sind als die Romanvorlage

Viele Romane oder Theaterstücke lernte ich erst durch Verfilmungen für das Kino kennen. Literatur und Film sind schon seit Beginn eine Symbiose eingegangen, die schwierig, aber oft auch erfolgreich war. Die Behauptung, das Buch ist immer besser, als der Film, kann ich nicht bestätigen. Hier einige Beispiele für gelungene und misslungene Filmadaptionen berühmter Romane.

Hinter jedem Film steht ein Buch, in der Regel ein Drehbuch, und vielfach basieren diese Drehbücher auf Krimis, Abenteuern oder Liebesromanen, manchmal auf erfolgreichen Klassikern der Weltliteratur oder einfach bellestristischen Bestsellern. Ein Film kostet Geld, die Produzenten wollen ihr Kapital gut anlegen, und einen Profit reißen, also wird auf die Verfilmung erfolgreicher Bücher gesetzt. Dabei kann das Unternehmen auch schiefgehen. Es gibt Tausende Beispiele, wie Drehbuchautoren oder die Urheber, die sich als DrehbuchautorInnen versuchten, ihr Werk oder das Werk anderer nicht adäquat auf die Leinwand umsetzen konnten. Manchmal sogar einen filmischen Abklatsch erzeugten, der ihre eigene Karriere in Schieflage brachte.

Es gibt signifikante Unterschiede zwischen Film und Buch. Ein Kinofilm von neunzig Minuten hat nicht viel Zeit, die ZuschauerInnen für die Geschichte zu gewinnen. Charaktere und Handlungen so zurechtzustutzen, zu fokussieren und zusammenzufassen, ist Schwerarbeit, vorrangig für die Autoren der Originaltexte, die zusehen müssen, wie ihr Werk filetiert, zersplittert, fragmentiert und letztlich auf ein Skelett reduziert wird.

Einige erfolgreiche Literaten wie Graham Greene wussten damit umzugehen, schufen großartige Leinwandadaptionen ihrer eigenen Romane wie „Der dritte Mann,“ oder „Unser Mann in Havanna“. Andere Literaten wie Ernest Hemingway haben nie ein passables Drehbuch zusammengebracht, oder wie Raymond Chandler, der von Studiobossen, wegen schwacher Resultate gefeuert wurde. Die erfolgreiche Autorin Patricia Highsmith war übrigens nie sonderlich begeistert von den Verfilmungen ihrer Krimis und betrachtete diese als eine neue Interpretation ihrer Werke, und nicht mehr .

Als Drehbuchautor muss einer Konzessionen eingehen, seinen Stoff zusammenstreichen und manchmal dicker auftragen als die Geschichte hergibt; mehr Action, mehr Sex, mehr Romantik, was die Handlung verkitscht. Davor fürchten sich Autoren, so stolz sie darauf sind, dass ihr Buch verfilmt wird.

Eine der besten Literaturverfilmungen hat der deutsche Regisseur Volker Schlöndorff gedreht. Die Verfilmung von Günter Grass’ Roman: „Die Blechtrommel“ hat zum Erfolg des Romans erheblich beigetragen. Schlöndorff schrieb selbst am Drehbuch mit, was eine kluge Entscheidung war. Ich mag auch seine Verfilmung von Margaret Atwoods „The Handmaid’s tale“  mit dem deutschen Titel: „Die Geschichte der Dienerin“, und die Filmadaption von Arthur Millers Bühnenstück „Death of a Salesman“, die hervorragend umgesetzt wurde.

In einigen Fällen übertreffen Literaturverfilmungen die Originalbücher. Ich fand immer, dass Stanley Kubricks Klassiker A Space Odyssey (2001: Odyssee im Weltraum) Arthur C. Clarks Romanvorlage, die schon brillant ist, auf eine höhere Stufe hob und sogar verfeinerte. Ähnlich erging es mir mit Tolstojs Roman „Anna Karenina“, den ich als Buch zweimal begann und jedes Mal wieder nach wenigen Kapiteln zur Seite legte, während ich die Verfilmungen, primär die aus dem Jahr 1997 mit Sophie Marceau, schätze. Ein anschauliches Beispiel ist Francois Truffauts Verfilmung des Romans „Waltz into Darkness“ des Amerikaners Cornell Woolrich. Turffaut nannte seinen 1969 gedrehten Film „La Sirène du Mississipi“ und hat die Vorlage mit seinem Werk sogar übertroffen.

Gute Beispiele für bessere Filmadaptionen liefern auch die Verfilmungen von Philip K. Dick Science Fiction-Romanen. Sein berühmtester Roman: „Do Androids dream of Electric Sheep?“ ist eine interessante Geschichte, die aber meiner Meinung nach, nicht so spannend und gelungen erzählt wird, wie es Ridley Scott mit seiner Verfilmung namens „Blade Runner“ von 1982 getan hat. Man stellt sich vor, Scott hätte den Originaltitel des Romans für seinen Film verwendet. Der Erfolg an den Kinokassen wäre mit Sicherheit ausgeblieben. Auch bei anderen P.K. Dick Verfilmungen, wie „The Minority Report“ ( veröffentlicht 1956) durch Steven Spielberg, im Jahr 2002, übertrifft der Film die Vorlage an Spannung, Konsistenz und Charakterbildung. Dicks unkonventionelle Kult-Romane, die oft chaotisch und surreal mit verschiedenen Realitäten spielen, verlangen viel Aufmerksamkeit und machen eine originaltreue Adaption beinahe unmöglich. Die Verfilmung seines Debütromans „The Man in the High Castle“, den er 1962 veröffentlicht hat, und der auf einem erstaunlichen Gedankenexperiment aufgebaut ist,  ist wesentlich gelungener als die Buchvorlage, die es nicht schaffte, das ganze Ausmaß der Handlung stringent zu erzählen. Dem Buch ist dies nicht gelungen, den Serienmachern eines Streaming-Anbieters mit ihrer Adaption aber sehr wohl, was wiederum die Bedeutung des Romans und seines Erschaffers hervorhebt.

Neuinterpretationen von berühmten Klassikern sind immer herausfordernd und müssen an den jeweiligen Sehgewohnheiten und Geschmack angepaßt werden . Alexandre Dumas Erfolgsromane wie „Die drei Musketiere“ oder „Der Graf von Monte Christo“ wurden mehrfach verfilmt, mit mannigfaltigen Abweichungen vom Originaltext, der im 19. Jahrhundert geschrieben wurde und auf das damalige Buchpublikum zurechtgeschnitten war.  Für das Kinopublikum im 20. Jh. mussten die Drehbuchautoren die Geschichte abspecken, kürzen, dramatisieren und die Dialoge an den Geschmack und die Lebensbedingungen des modernen Publikums anpassen.

Dasselbe gilt auch für Victor Hugos Meisterwerk „Les Misérables“, das unzählige Male für Kino und Fernsehen verfilmt wurde, wobei die Verfilmungen in diesem Fall tatsächlich immer besser wurden.

Einer der gelungensten auf einen Roman basierenden Filme ist dem französischen Meisterregisseur Henri-Georges Clouzot im Jahre 1955 mit seinem Werk „Les diaboliques“ gelungen. Clouzot verfilmte den Roman des erfolgreichen Autorenduos Pierre Boileau und Thomas Narcejac Celle qui n’était plus, der ausgezeichnet ist. Der Film kann mit der Qualität des Romans leicht mithalten und ist meiner Meinung nach, gleichrangig, ein hervorragend gespieltes Drama mit unglaublicher Suspense.

Ein weiteres gutes Beispiel ist auch die Verfilmung von Umberto Ecos „Il nome della rosa- Der Name der Rose“ durch den französischen Regisseur Jean-Jacques Annaud 1986. Der Historienroman des italienischen Schriftstellers und Universitätsprofessors Umberto Eco, rund um geheimnisvolle Mordfälle in einem Benediktinerkloster in den italienischen Alpen im Jahre 1327, ist ein literarisches Meisterwerk. Es ist einer der besten Historienromane überhaupt, der seitenlange Beschreibungen antiker und theologischer Bücher und Theorien beinhaltet. Im Grunde ist dieser Schmöker originalgetreu nicht zu verfilmen, doch Jean-Jacques Annaud ist ein fantastischer und fesselnder Film gelungen: perfekt besetzte Rollen, atemberaubende Aufnahmen, eine bis zuletzt spannende Handlung, die ausgezeichnet die Atmosphäre der damaligen Zeit einfängt.

Die Symbiose von Literatur und Film ist und bleibt ein kreativer Kraftakt. Viele Verfilmungen literarischer Klassiker, wie J. R. Tolkien’s „Lord of the ring“, durch den Regisseur Peter Jackson, der der Romanvorlage, die Tolkien in den 50er Jahren geschrieben hatte, neues Leben einhauchte und sie großartig für die Leinwand adaptierte, haben die Erinnerung an das Werk am Leben erhalten. Insofern fördert das Kino auch das Überleben der Literatur und ermöglicht ihr, ein größeres Publikum zu erreichen, ja manchmal sogar der Geschichte neue Dimensionen zu verleihen.

Mike Masuri, June 2025