Künstler in Afrika leben gefährlich. Jeder Form von Kritik an Staat, Kirche, Wirtschaft oder Gesellschaft wird als Bedrohung angesehen. Sogar in Südafrika, dass als das westlichste Land auf dem afrikanischen Kontinent gilt, ist die freie Meinungsäußerung von Presse und Privatpersonen eingeschränkt, vor allem wenn es um Politik oder staatliche Institutionen geht. Die Regierungen afrikanischer Staaten wollen keine Klagen ihrer Landsleute hören und schon gar nicht in den Medien, denn sie wissen wer Schuld an allen Problem trägt.
Künstler in Europa hatten es auch viele Jahrhunderte nicht leicht mit dem Staat und der Justiz. Bis in 20. Jahrhundert wurden in vielen europäischen Staaten aufmüpfige, kritische oder revolutionäre Künstler eingesperrt, ins Exil geschickt oder umgebracht. Nach dem Ende des Terrors der Faschisten in Deutschland, Italien und Spanien und dem Kriegsende 1945 gab es ein Aufatmen für die Kunst, zumindest in Westeuropa. Im sowjetisch-stalinistischen Osteuropa ging der Terror gegen die Freiheit der Kunst leider bis in den 1990 Jahren weiter. Nach einigen Jahrzehnten Freiheit durch Glasnost und Perestroika fiel die eroberte Freiheit durch die Ära Putin iwieder zurück in Zensur und Verbot.
Im freien Westen hingegen erlebte die freie Kunst eine Epoche der Blütezeit. Kunst wurde staatlich, regional und privat gefördert, Museen revitalisiert, Künstler mit Förderungen, Stipendien und anderen Mitteln unterstützt, subventioniert und geehrt. Dies hieß aber nicht, dass jede Form der Kunst toleriert wurde. Das Aufbegehren der Studenten in den sechziger und siebziger Jahren des 20. Jh. gefiel den staatlichen Autoritäten überhaupt nicht, insbesondere wenn einzelne Parteien, Politiker oder Entscheidungen kritisiert und bekämpft wurden. Ein gutes Beispiel ist der Protest gegen Umweltzerstörung, Waldrodung, Atomkraft, Chemie- und Erdölkonzerne oder die bewußte Ausbeutung ärmerer Staaten und deren Bevölkerung.
In Afrika gab es vor den Unabhängigkeitsbewegungen in den sechziger Jahren des 20 Jh. wenige Künstler, die die Öffentlichkeit erreichten, eine Bühne bekamen oder gefördert wurden. Im Zeitalter des Kolonialismus herrschte das Diktat der Unterwerfung. Kunst wurde nur zur Unterhaltung, dem Amusement, der ästhetischen Bewunderung oder der Verherrlichung der imperialen Großmächte geduldet. Dennoch erhielten insbesondere Maler, Zeichner und Literaten die Möglichkeiten die fremden Kulturen und Landschaften zu porträtieren und zu dokumentieren. Maler wie der Franzose Jacques Majorelle, der Landschaften und Menschen in Marokko porträtierte oder die Deutschen Maler August Macke und Paul Klee auf ihrer Tunesien Reise, prägten das romantisch-exotische Bild von Afrika.
Nach der Unabhängigkeit und einigen kurzen sozialistischen Experimenten wechselten die Mehrheit afrikanischer Staaten direkt vom Kolonialismus in die Diktatur. Der Anschein einer Republik, die Gründung des Parlaments oder der Eid auf die Verfassung dienten nur dem trügerischen Versprechen, dass alles Recht und Ordnung hat, und das Volk sich den neuen Machthabern unterwerfen muss, weil nur sie wissen, was gut für das Volk ist.
Den ehemaligen, europäischen Kolonialmächten war diese demokratiefeindliche Entwicklung nur recht, denn korrupte Politiker sind leichter zu bestechen, wenn es darum ging intransparente und unfaire Geschäfte mit Rohstoffe zu machen. Afrika blieb wirtschaftlich interessant, man denke an Kaffee, Baumwolle, Kakao aber auch Gold, Kobalt, Zinn, Erdöl und Diamanten. Damit es nicht nach koloniale Ausbeutung aussah, etablierte man die Entwicklungshilfe als altruistischer Deckmantel für eigennützige, strategische Machtinteressen.
Die neuen afrikanischen Machthaber wie Idi Amin in Uganda, Mengistu Haile Mariam in Äthiopien, Charles Taylor in Liberia, Mobuto Sese Seko in Kongo, Robert Mugabwe in Zimbabwe usw. die Liste ließ sich bis zum heutigen Tag fortsetzen, hatten alle etwas gemeinsam: die Angst vor der Kritik. Deshalb beschnitten sie die Freiheit ihrer Künstler, denn sie waren es, die wagten den Herrschen einen Spiegel vorzuhalten, ob durch Dramen, Komödien, Satire, Film oder Bühnenstücke, zeigten sie was in ihrer Heimat schief lief und was die Welt erfahren sollte.
Der nigerianische Schriftsteller und Dramatiker Ken Saro-Wiwa, der sich gegen Umweltzerstörung, Vertreibung und Menschenrechtsverletzungen einsetzte, wurde nach einem staatlichen Schauprozess 1995 hingerichtet.
Der algerische Rai Sänger Cheb Hasni wurden von islamischen Fundamentalisten 1994 ermordert. Cheb Hasni war im ganzen Maghreb bekannt, jemand, der über soziale Normen und Taboos Lieder sang und politische Probleme in seinem Land zum Thema machte.
Der kenyanische Schriftsteller und Dichter Ngũgĩ wa Thiong’o, der als einer der bekanntesten und einflußreichsten Literaten Ostafrika galt, mußte ins Exil flüchten, als er in seinen Werken bestimmte politische Eliten und deren Verhalten kritisierte. Bis ins hohe Alter wurde er von den Behörden drangsaliert. Bei einem Besuch in Kenya wurde er von Unbekannten, die in Zusammenhang mit den Autoritäten standen, geschlagen und mißhandelt.
Die prominente Sängerin Shaden Gardood wurde im Sudan Opfer von militärischer Gewalt und sie war nicht die einzige Künstlerin, die im Zuge des Bürgerkriegs ermordet wurde.
Es gibt viele andere Künstler, die international nicht bekannt wurden, aber in ihren eigenen Ländern Anerkennung erfuhren und auf mysteriöse Weise ums Leben kann.
Afrikas Künstler dürfen nicht über die realen Lebensumstände erzählen, denn damit machen sie die Politiker verantwortlich. Sie dürfen auch keine Kritik gegenüber der Religion äußeren, ob Islam oder Christentum, oder religiöse Traditionen für soziale Probleme verantwortlich machen. Sie dürfen sich nicht einmal darüber lustig machen, keine Satire, keine Parodie, die nur die leiseste Kritik versteckt. Sogar, wenn sie frei über Liebe und Sexualität erzählen, werden sie als amoralisch und blasphemisch verurteilt. Während die Gesellschaft Promiskuität, Kinderehen, Genitalienbeschneidung, Prostitution, Kindesmißbrauch und Gewalt in der Ehe als unabänderliche Phänomene akzeptiert, verbietet sie der Kunst, darüber zu texten oder zu singen. Afrikanische Gesellschaften sind in der Regel prüde und scheinheilig, wenn es darum geht, Lösungen für ihre eigenen kulturellen Probleme zu finden.
Der französische Filmemacher und Intellektuelle Jean Luc Godard hat einmal in einem Interview gesagt, dass die Gesellschaft die Kunst braucht, wirtschaftlich von ihr profitiert und deshalb auf sie angewiesen ist. Wer würde schon nach Barcelona, Paris, Venedig, London oder Berlin reisen, wenn es keine Museen, keine Theater, keine Konzerte, keine Festivals geben würde ? Die Kultur ist ein wichtiger wirtschaftlicher Faktor und je freier die Kunst sein darf, desto mehr Gewinn wird sie erwirtschaften. Kunst und Künstler staatlich zu fördern ist auch Wirtschaftsförderung, von der die Gesellschaft als Ganzes profitiert.
Solange Afrikas politische und wirtschaftliche Eliten sich vor einer agilen, freien und proaktiven Kunstszene und den kritischen KünstlerInnen fürchten, sie niederknüppeln, einsperren oder gar aus dem Weg räumen, wird es keinen sozialen, politischen und wirtschaftlichen Fortschritt in ihren Ländern geben.
Kein Frieden und Fortschritt ohne die Freiheit der Kunst, ohne der freien Meinungsäußerung, ohne der Pressefreiheit, und dies betrifft nicht nur Afrika. Diktatur, Totalitarismus und Autokratie sind kein Fortschritt, weil sie die menschliche Kreativität, die die wichtigste Triebfeder der Zivilisation war und ist, nicht voll nutzen und zur vollen Blüte verhelfen.
Mike Masuri, July 2025
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