Im Jahre 2025 ist die Entdeckung unserer Welt, nahezu vollbracht. Es gibt keinen Ort auf unserem Heimatplaneten Erde, der nicht von Menschen erforscht und bereist wurde, der nicht kartografiert und fotografiert wurde, und der heute “nicht” touristisch genutzt wird. Menschen haben jeden Winkel unseres Planeten durchforstet, alle Völker entdeckt, gefunden, studiert und dokumentiert, auch jene, die längst ausgestorben sind. Der menschliche Entdeckergeist und Forscherdrang hat unseren Planeten gründlich durchkämmt. Im 21. Jahrhundert gibt es nahezu keine unbekannten Flecken mehr auf den Landkarten, außer in den Tiefen unserer Ozeane. Überall sonst hatte schon irgendjemand zuvor, sehr wahrscheinlich bereits vor Jahrzehnten, wenn nicht Jahrhunderten, seinen Fuß hingesetzt und Spuren hinterlassen.
Geblieben sind uns Bücher von Forschern und Abenteurern oder jene, die über ihre Entdeckungen und Reisen berichteten, als sie in der Vergangenheit in abgelegene, ferne Regionen vorgedrungen sind oder wagemutige Expeditionen durchführten.
Geheimnisvolles Tibet
Ein Abenteuerbericht, der mich schon als Jugendlicher faszinierte, war das Buch des Österreichers Heinrich Harrer: „Sieben Jahre in Tibet“, das 1952 veröffentlicht wurde. Harrer schilderte darin sehr fesselnd und berührend seine Erfahrungen in Tibet zwischen 1944 und 1950, die vor dem Einmarsch der chinesischen Volksarmee stattfanden. Als erfahrener Bergsteiger wollte Heinrich Harrer in einer geplanten Himalaja Expedition den damals noch unbestiegenen Achttausendergipfel Nanga Parbat besteigen, wurde aber von der britischen Besatzungsarmee festgenommen. Seine Flucht aus dem Internierungslager und die Reise über Nepal nach Tibet, die Ankunft in Lhasa und die Begegnung mit dem jungen vierzehnten Dalai Lama, dessen kurzzeitiger Lehrer er wurde, sind die legendären Höhepunkte dieses Buches und haben es weltberühmt gemacht.
Ich fand auch Harrers Bericht über eine Entdeckungsreise durch die pazifische Insel Neu-Guinea zum Volk der Papuas, der 1963 in seinem Buch „Ich komme aus der Steinzeit“ veröffentlicht wurde, außerordentlich spannend. Das Buch hatte einen tiefen Eindruck bei mir hinterlassen und mein eigenes Interesse für fremde Kulturen und Ethnografie geweckt. Überhaupt war Heinrich Harrer sicher einer der größten österreichischen Forscher, Entdecker und Bergsteiger, der sich durch kulturelle Sensibilität und Respekt für andere Kulturen bis ins hohe Alter auszeichnete.
In einer Nussschale über den Ozean
Eine der aufregendsten Expeditionen des 20. Jahrhunderts war der Versuch des schwedischen Forschers Thor Heyerdahl im Jahre 1947, mit einem selbst gezimmerten Boot aus nachwachsenden Materialien von Südamerika aus den Pazifik zu durchqueren, der heute als „Kon-Tiki- Expedition“ bekannt ist. Heyerdahl glaubte, dass das Volk der Polynesier ursprünglich aus dem heutigen Peru stammte und die polynesischen Inseln besiedelte, was mit dem heutigem Wissensstand widerlegt wurde. Dennoch ist die Erkundungsfahrt mit diesem relativ kleinen, primitiven Boot, das nach traditionellen Methoden und in der Bauart der alten Völker nachgebaut wurde, eines der wagemutigsten Experimente des 20. Jahrhunderts. Das Buch über seine Kon-Tiki-Expedition war nicht nur packend beschrieben, sondern wurde ein Riesenerfolg und bewog mich, auch den Bericht über eine andere Ozeandurchquerung von Heyerdahl zu lesen, die Ra-Expedition von 1969.
In dieser Ra-Expedition versuchte der Schwede Thor Heyerdahl mit einem primitiven Boot aus traditioneller Bauweise in Afrika gebaut, den atlantischen Ozean zu durchqueren, um eine Theorie über die Fähigkeiten eines antiken Volkes zu beweisen. Die Abenteuerfahrt, die nicht gänzlich geglückte, aber Heyerdahl überlebte, begann an der marokkanischen Küste und führte über den Atlantik in die Karibik. Die abenteuerlichen Experimente des berühmten Norwegers sind deshalb so fesselnd und legendär, weil Thor Heyerdahl der Lebensgefahr und das Risiko trotzte, und sich nicht davon abhalten ließ, das Wagnis anzutreten, was letztlich zu seinen Ruhm als Forscher und Abenteurer beitrug.
Blutige Freiheit in Galapagos
Einen sehr ungewöhnlichen und mitreißenden Bericht fand ich auch in Margret Wittmers Buch: „Postlagernd Floreana“. Der Erlebnisbericht über deutsche Siedler auf der abgelegenen Insel vor Ecuador „Galapagos“, wurde 1959 publiziert und avancierte schnell zum Erfolg. Meine Mutter, die sich sehr für fremde Kulturen interessierte, las das Buch und reichte es mir weiter, was ein Glücksfall war, denn die darin enthaltene, wahre Geschichte ist äußerst interessant. Das Buch behandelt die Erlebnisse und Geschehnisse im Jahre 1934 auf den Galapagos-Inseln, wo sich eine Gruppe deutscher Auswanderer niedergelassen hatte, um ein Leben abseits der Zivilisation zu führen, wenn gleich nicht alle Beteiligten die selben Motive hatten. Das aufregende Sozialexperiment wurde damals schon recht schnell bekannt und die Auswanderer erlangten eine gewisse Bekanntheit, die neue Siedler anlockte. Letztlich endete das Leben in der Wildnis, das vom Wunsch nach individueller und sexueller Freiheit geprägt war, in einem mysteriösen Mordfall, in dem drei Personen ermordet wurden und drei weitere – bis heute – spurlos verschwunden sind. Für Interessierte gibt es neben dem Buch auch viele Videos, Dokumentationen und andere Berichte über die Vorfälle, aber Margret Wittmers Buch ist für mich immer noch der beste Bericht, da Wittmers selbst ein Teil dieser Auswanderer auf Galapagos war und die Ereignisse aus erster Hand erlebte und niederschrieb.
Am Ende der Welt
Um auf dem südamerikanischen Kontinent zu bleiben, darf Bruce Chatwins Reisebericht „Patagonia“, der 1977 veröffentlicht wurde, nicht fehlen. Ich entdeckte schon früher Bruce Chatwin als Autor, las seinen Roman „On the Black Hill“ und sein Meisterwerk „The songlines“ von 1987, über die spirituellen und kulturellen Fähigkeiten der Aboriginals in Australien. Von seinem außerordentlichen Reisebericht „Patagonia“ war sofort begeistert. Chatwin beschreibt seine Reise durch die Region in Argentinien und Chile in kurzen, prägnanten Kapiteln: die Begegnungen mit einheimischen Indianern und Auswanderern, aber auch grotesken Charakteren, die als Landwirte, Jäger oder Asketen in der wilden und schroffen Berglandschaft lebten. Die Suche nach den Spuren eines gigantischen Faulbären Mylodon aus der Saurierzeit, dessen Hautüberreste in einer Höhle in Chile gefunden worden waren, kommt ebenso vor, wie die ersten Siedlungen der Europäer und die Kultur der indianischen Bevölkerung auf Ushuaia in Feuerland, an der Südspitze Südamerikas. Bruce Chatwin, der leider zu früh verstarb, war ein begnadeter Schreiber, der mit seinem Stil, seiner Beobachtungsgabe, seinem Humor und seinem Interesse für das Skurrile und Außerordentliche hervorragende Bücher verfasste.
Zu Fuß durch den Kongo
Einen anderen, neugierigen und wissensdurstigen Briten, den auch Bruce Chatwin in seinen Schriften erwähnte, war Richard Francis Burton, der von 1821 bis 1890 lebte. Burton wurde in der Literatur und der Fachwelt berühmt durch seine Teilnahme an der Expedition zur Suche nach der Quelle des Nilflusses in Ostafrika, gemeinsam mit dem Entdecker John Hanning Speke im Jahre 1857. Zwar haben die beiden Forscher, nach einer mühseligen und gefährlichen Reise von der Küste Tansanias bis nach Uganda die Stelle gefunden, wo der Nil aus dem Viktoriasee tritt, doch die wahre Quelle konnten sie nicht ausfindig machen. Richard Francis Burton war im Gegensatz zu Speke einer der exzentrischsten und unkonventionellsten Forscher, Gelehrten und Reisenden des 19. Jahrhunderts. Schon in seiner Zeit als Soldat der britischen Armee in Indien begann er mehrere indische Sprachen und auch Arabisch zu studieren, sich für die Traditionen und Kulturen der Völker zu interessieren, historisches Wissen zu sammeln und Berichte zu verfassen, von denen manche zu damaligen Zeit Kontroversen und Skandale auslösten. Insbesondere sein Interesse für traditionelle erotische Literatur, sexuelle Praktiken und Vorstellungen diverser Völker, die er ausgiebig studierte und dokumentierte, brachten ihn in Bedrängnis. Auf Burton gehen Übersetzungen erotischer Werke wie „Der parfümierte Garten“ des muslimischen Gelehrten Nefzawi aus dem 15. Jahrhundert und die erste Publikation des „Kama Sutras“ in Großbritannien zurück, die in der prüden viktorianischen Epoche auf Widerstand stießen. Als Diplomat im britischen Kolonialreich und Hobbyforscher blieb er bis zu seinem Tod ein kontroversieller Charakter, dessen Neugierde für andere Kulturen und deren Bräuche stets aufrechtblieb und ihm als Pionier auf diesem Gebiet, besonders nach seinem Ableben, Respekt verschaffte. Der österreichisch-bulgarische Autor Illja Trojanow hat in seinem Roman „Der Weltensammler“ von 2006 ein differenziertes und fesselndes Porträt über den Exzentriker Richard Francis Burton geschrieben, das mich beeindruckte. Trojanows halbfiktiver Roman inspirierte mich, auch die Schriften Burtons zu lesen und mehr über seine Biografie zu erfahren.
Die verlorene Stadt im Dschungel
Ein Reisebericht, der über die Erlebnisse eines anderen Zeitgenossen, Richard F. Burtons, handelt, ist das Buch des britischen Journalisten Tim Butcher mit dem Titel „Blood River- A Journey to Africa’s Broken Heart“, erschienen 2007 und bis heute eine der best recherchierten Reportagen über die Demokratische Republik Kongo. Butcher nahm sich vor, die Expedition des amerikanischen Afrikaforschers Sir Henry Morton Stanley, der übrigens auch auf der Suche nach dem Ursprung des Nils war, durch das heutige Tansania und den Kongo wieder zu Fuß zu wiederholen. Allein schon dieses Vorhaben ist hochgradig gefährlich und beinahe unmöglich, doch Butcher schaffte es, große Strecken zurückzulegen, wenn gleich er von seinem Plan auch Abstriche machen musste. Sein lesenswerter Erlebnisbericht ist ein großartiges Buch über das heutige Kongo, dessen koloniale Vergangenheit, die Unabhängigkeitskriege, die wahnwitzigen, grausamen Diktaturen und den rücksichtslosen Wettkampf der Ausländer um die riesigen Mineral- und Holzressourcen des zweitgrößten Landes in Afrika.
Ein Buch, das ich hier noch erwähnen möchte, ist die Reportage eines anderen Journalisten: des US Amerikaners David Grann, der bei der berühmten Tageszeitung „The New Yorker“ arbeitet und sich in seinem Sachbuch „The Lost City of Z“ auf die Spuren des britischen Forschers Percy Fawcett in den Amazonas begab. Percy Fawcett hatte zu Beginn des 20. Jahrhunderts in mehreren Expeditionen im Amazonasgebiet versucht, die legendäre Dschungel-Stadt Z wiederzufinden, ein Vorhaben, das Dutzende andere Forscher vor und nach Fawcett ebenfalls unternahmen und dabei nur den Tod fanden, wie Fawcett selbst, der 1925 spurlos im Regenwald verschwand und nie gefunden wurde. Die Art, wie David Grann diese bizarre Suche nach einer verlorenen, nur als Legende existierenden Stadt, recherchiert und in seinem Buch beschreibt, ist grandios und aufregend zugleich, zumal der Leser jede Menge historische und aktuelle Informationen über den Amazonas und seine Völker erfährt und in diese streckenweise mysteriöse Geschichte eintauchen kann.
Mike Masuri, September 2025
Leave a comment